Psychiatrie | Stellungnahme Februar 2024

Stellungnahme der Fachgruppe Psychiatrische Einrichtungen im VKD e.V. zur Achten Stellungnahme und Empfehlung der Regierungskommission für eine moderne und – bedarfsgerechte Krankenhausversorgung Psychiatrie, Psychosomatik und Kinder- und Jugendpsychiatrie („Psych-Fächer“): Reform und Weiterentwicklung der – Krankenhausversorgung

Vorwort

Bereits auf der 56. Jahrestagung der Fachgruppe vom 28.09. bis 29.09.2023 konnten die Mitglieder der Jahrestagung im Vorfeld der Veröffentlichung mit Prof. Dr. Bschor die wesentlichen Themen aus der Sicht des Managements zu den anstehenden Reformüberlegungen diskutieren und so war es eine besondere terminliche Konstellation, dass dann am Nachmittag des 29.09.2023 die o.g. Stellungnahme und Empfehlung veröffentlich wurde.

Im Lichte der weiteren Diskussionen und Überlegungen bezieht sich diese Stellungnahme nur auf die aus Sicht der Fachgruppe besonderen Themen und Punkte. Bei den nicht thematisierten Eckpunkten wird auf die Stellungnahmen insb. der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der medizinischen Fachgesellschaften verwiesen.

Personalausstattung: Mindestbesetzung und Bemessung

Wir teilen die Auffassung der Kommission, dass die PPP-RL zu unverhältnismäßig hohen Sanktionszahlungen führen könnte und haben daher positiv zur Kenntnis genommen, dass der G-BA nach jahrelanger Ignoranz der von den Fachverbänden wiederholt vorgebrachten Kritik nun ebenfalls dieser Erkenntnis gefolgt ist und das Sanktionsmodell überarbeiten möchte. Dabei sollte beachtet werden, dass künftig nur noch nicht für Personal verausgabte Mittel an die Kostenträger zurückbezahlt werden und keine darüberhinausgehende Bestrafung ohne Dialogmöglichkeit zwischen den Beteiligten erfolgt. Zudem muss gesetzgeberisch sichergestellt werden, dass die Kostenträger auch das zur Erfüllung der Mindestvorgaben notwendige Personal vollumfänglich finanzieren. Nur wenn das Personal über auskömmliche Budgets finanziert wird, kann es von den Krankenhäusern auch zweckentsprechend eingesetzt werden. Wir sehen die PPP-RL zudem ebenfalls als übertrieben bürokratisches und rückwärts gewandtes Instrument an. Die Richtlinie muss dringend dahingehend überarbeitet werden, dass künftig auf den starren Berufsgruppenbezug verzichtet wird. Gerade dieser starre Bezug stellt in der Praxis eine große Hürde für die Krankenhäuser dar und birgt keinerlei Qualitätsgewinn vor Ort. Die aktuell vorhandenen Möglichkeiten zur Anrechnung zwischen den Berufsgruppen (§ 8 Abs. 3 PPP-RL) stellen nur in der Theorie ein hilfreiches Instrument dar, da sie vor Ort zu vielfältigen Diskussionen mit dem Medizinischen Dienst und letztlich auch den Kostenträgern führen. Eine Aufhebung des Berufsgruppenbezugs hätte auch den Vorteil, dass weitere qualifizierte Berufsgruppen (z.B. Medizinische Fachangestellte, Physician Assistant), die bereits heute vorteilhaft in die Behandlung von psychisch erkrankten Menschen einbezogen werden, aber im Rahmen der Richtlinie keine Berücksichtigung finden, künftig auch abgebildet werden können. Die aktuelle Diskussion im G-BA zeigt zudem, dass auch grundsätzlich Bürokratieabbau betrieben werden muss. Das Nachweisverfahren zur PPP-RL ist äußerst detailreich ausgestaltet worden – nicht, weil es zur Qualitätssicherung zwingend notwendig gewesen wäre, sondern aus Misstrauen der Kostenträger. Aus Sicht der Fachgruppe sollte das Nachweisverfahren dringend praxisbezogen überarbeitet werden, so dass künftig nur noch notwendige Informationen erhoben werden müssen und Redundanzen – auch innerhalb des Nachweisverfahrens – entfallen können und nicht zu Lasten der Krankenhäuser fortgeführt werden. Die Nutzung von Routinedaten unterstützen wir daher grundsätzlich sehr. Allerdings muss sichergestellt werden, dass die verwendeten Daten auch zum Auswertungszweck verwendet werden können. Daneben sollte auch die grundsätzliche Logik der Richtlinie überprüft werden, da sie aktuell nicht dazu in der Lage ist sektorenübergreifende Versorgungskonzepte zu fördern. Vielmehr verhindert sie durch ihre strukturkonservativen Vorgaben diese ganz explizit. Je mehr sich die Krankenhäuser für sektorenübergreifende Versorgungsmodelle entscheiden, desto wichtiger wird es sein, dass auch die regulatorischen Instrumente zu diesen Modellen passen und kein Hindernis für die Umsetzung darstellen. Den Einbezug vielfältiger praktischer Expertise halten wir für das Gelingen dieses Vorhabens für unabdingbar.

Vorhaltebudget

Anders als die Kommission in ihrer achten Stellungnahme kommen wir zu dem Schluss, dass dem PEPP-System, welches bereits seit 2012 optional im Einsatz ist, keine erkennbare steuernde Funktion mehr beigemessen werden kann. In der Praxis dient das PEPP-System nur noch als Transportweg für das mit den Kostenträgern vereinbarte Budget. Der administrative Aufwand den das PEPP-System durch Dokumentations- und Abrechnungsvorschriften verursacht (z.B. Fallzusammenführungen), steht dazu in keinem Verhältnis. Um zu diesem Schluss zu gelangen braucht es auch keine weitergehende Evaluation. Die Begleitforschung zum PEPP-System liegt bereits seit Jahren vor und ein Blick auf die Entwicklung der letzten Jahre zeigt, dass mittlerweile ein Stillstand erreicht wurde. Obwohl die Häuser sich nach wie vor an der InEK-Kalkulation beteiligen, gibt es keine erkennbare Differenzierung. Viele Prüfaufträge zur Ermittlung von Kostentrennern sind im Sande verlaufen oder führten zur Erkenntnis, dass eine Kostentrennung auf diesem Wege schlicht nicht möglich ist. Daher sollte auch die bessere Abbildung von Vorhaltekosten parallel und unabhängig vom PEPP-System selbst geprüft werden. Die meisten psychiatrischen Krankenhäuser beteiligen sich an der regionalen Pflichtversorgung und haben entsprechende Vorhaltekosten. Diese sind derzeit oftmals nicht vollumfänglich refinanziert und belasten die Einrichtungen. Der Ansatz zur Ausgliederung von Vorhaltekosten muss daher auch in den Psych-Fächern überprüft werden.

Fachkrankenhäuser

Die Regierungskommission betont an mehreren Stellen, dass es erforderlich ist, die somatischen Kliniken besser mit den Psych-Fächern zu vernetzen. Das ist sinnvoll und erforderlich mit Blick auf die komplexen Erkrankungen vieler Patientinnen und Patienten, die stationär behandelt werden: Sie leiden zunehmend an psychiatrischer und somatischer Komorbidität. Die Kommission macht entsprechend den Vorschlag, Fachkrankenhäuser langfristig baulich und inhaltlich in Allgemeinkrankenhäuser zu integrieren. Dieser wuchtige Vorschlag löst aktuell hitzige Diskussionen aus.

Fachkrankenhäuser sind in den vergangenen 20 Jahren ein Erfolgsfaktor für die Weiterentwicklung und Qualität der Behandlung gewesen. Sie leisten das, was die Krankenhausreform als wesentliche Ziele formuliert: Eine Spezialisierung und die Bündelung von Kompetenzen. Die Psych-Fächer haben sich genau wie die anderen medizinischen Fachgebiete in den vergangenen Jahrzehnten ausdifferenziert. In den psychiatrischen Fachkliniken übernehmen hochspezialisierte multiprofessionelle Teams die oftmals komplexe Behandlung. Diese Teams lassen sich an kleineren, nicht-spezialisierten Häusern kaum aufbauen – was auch Auswirkungen auf den Wissenstransfer in der Aus- und Fortbildung hat. Die Fachkliniken aufzuspalten, um an mehreren Allgemeinkrankenhäusern Teilleistungen anzubieten, würde die Qualität der Behandlung seelisch erkrankter Menschen erheblich verschlechtern. Die Qualität der psychiatrischen Versorgung darf allerdings nicht preisgegeben werden, nur um für somatische Kliniken eine Level-Erhöhung zu erreichen. Gleichwohl gibt es Beispiele, in denen eine vollständige Verlagerung einer Fachklinik an ein somatisches Haus – oder umgekehrt – bei bestehender Trägerschaft beide Ziele erreicht: Vernetzung auf der einen Seite und Binnendifferenzierung und Spezialisierung der Angebote auf der anderen Seite.

Und die Digitalisierung bietet ein hohes Maß an Kooperationen, ohne Leistungen räumlich zu verlagern. Ggfs. sind hier die Prioritäten im Rahmen des Krankenhauszukunftsgesetzes nochmal angepasst werden!

Sofern die Kommission solche Wege meint, ist dies ein guter Weg. Er erfordert aber natürlich eine entsprechende investive Kraft und ist sicherlich nicht flächendeckend umsetzbar. In allen anderen Fällen sollte der Weg fortgesetzt werden, eigene somatische Kompetenz in den psychiatrischen Fachkliniken aufzubauen bzw. mit somatischen Disziplinen zu kooperieren. Dies ist bereits in vielen Fällen gut gelungen. Die Möglichkeiten der Digitalisierung und Telemedizin müssen in der weiteren Entwicklung konsequent genutzt werden.“

Tagesstationäre Behandlung/Tageskliniken

Wir unterstützen das Ziel einer settingübergreifenden Behandlung mit flexibel stattfindenden Wechseln zwischen den verschiedenen Behandlungssettings (voll- und teilstationär, ambulant) orientiert an den Bedürfnissen der Patienten ausdrücklich. Die psychiatrischen Krankenhäuser und Fachabteilungen haben bereits in der Vergangenheit gute Erfahrungen mit tagesklinischer Behandlung machen können. Jedoch stellen Wechsel des Behandlungssettings nach wie vor eine große Herausforderung dar, da der Medizinische Dienst jeden Wechsel kritisch hinterfragt und versucht eine Fehlbelegung festzustellen. Sofern sich der Wechsel des Behandlungssettings wirklich an den Bedürfnissen der Patienten orientieren soll, müssen auch die Prüfvorschriften für den MD entsprechend ausgestaltet werden, so dass für beide Seiten im Vorfeld Klarheit zu den Bedingungen herrscht und diese nicht einseitig im Nachgang ausgelegt werden können.

Institutsambulanzen

Den Einsatz von Institutsambulanzen sehen wir sehr positiv. Die PIA ist ein Erfolgsmodell und bietet den Psych-Einrichtungen bereits heute vielfältige Möglichkeiten zur settingübergreifenden Behandlung von Patienten. Obwohl das System schon länger besteht, erscheint eine Vereinheitlichung der Rahmenbedingungen durchaus sinnvoll und sollte intensiv geprüft werden. Die zitierten Prinzipien von hoher Transparenz, Einfachheit und Bürokratiearmut sollten dabei die leitenden Parameter sein.

Allerdings ist die Fixierung auf bekannte nicht-stationäre Versorgungsformen aus unserer Sicht problematisch. Diese Sichtweise begrenzt die Entwicklung und lässt wenig Spielraum für Innovationen. Wir plädieren daher, Träger zu unterstützen, neue Formen der nicht-stationären Versorgung gerade bei der Weiterentwicklung der Modelle auszuprobieren.

Modellvorhaben

Für die positiv erprobten Modellvorhaben nach § 64b SGB V soll es unter bestimmten Umständen für alle Krankenkassen eine Pflicht zum Vertragsabschluss geben (Kontrahierungszwang). Ein bundesweites Rahmenkonzept für die Budgetfindung und Finanzierung soll ermüdende und zeitraubende regionale Einzelverhandlungen und Verstrickungen und Verzögerungen vermeiden. Zudem sollen niedergelassenen Ärzte und Therapeuten unter der Federführung der Kassenärztlichen Vereinigungen als Vertragspartner einbezogen werden. Allerdings fehlt ein Hinweis, wohin sich die neuen Finanzierungs- und Steuerungsformen entwickeln sollen. Eine gewisse Leitplanke wäre aus unserer Sicht an dieser Stelle gerade für die fiskalisch massiv dominierte Gesundheitspolitik hilfreich. Ein Blick zu internationale Entwicklungen zeigt deutlich, dass Budgetmodelle, die die Finanzierung nicht an Einzelleistungen knüpfen, sondern pauschale Systeme fördern, von Vorteil sind. In einem Bismarck-System wie in Deutschland, mit langer Tradition der stationären Versorgung, wäre ein Hinweis der Kommission – zur Unterstützung innovativer Ideen – auf ein Vergütungsmodell, das ganz bewusst die nicht-stationäre Behandlung besser als die stationäre Behandlung vergütet, hilfreich gewesen. Erfolgreiche Modellvorhaben zeigen dies deutlich. Wir möchten daher anregen, diese Gedanken nun zeitnah gemeinsam auf Bundesebene zu entwickeln und damit Perspektiven für die Krankenhäuser aufzuzeigen.

Qualität

Die Kommission attestiert dem Versorgungmodell der Psych-Fächer eine vergleichsweise geringe Qualitätstransparenz. Der ICD- und der OPS-Katalog könnten nach Einschätzung der Kommission so weiterentwickelt werden, dass daraus eine ähnliche Aussagekraft wie in den meisten somatischen Fächern möglich sei. Auch hier scheint die einseitige Ausrichtung an einem biomedizinischen Klassifikationssystem, bei aller Differenziertheit des Systems, wichtige Trends nicht zu sehen oder nicht sehen zu wollen. Seit der Einführung des pauschalierten tagesbezogenen Abrechnungssystems in der stationären Versorgung ist bekannt, dass weder die ICD- noch die OPS-Kataloge Hinweise für eine patientenorientierte, gestufte Behandlung und Therapie liefern. Hier wären weiterführende Eckpunkte hilfreich gewesen. Unklar bleibt, was das Ziel von Transparenz und Qualität sein soll und wer von den neuen Erkenntnissen profitieren soll. Die Zielvorstellungen in Bezug auf Transparenz und Qualität sind durchaus für die einzelnen Zielgruppen unterschiedlich. Wie ein solches Zielsystem von Qualitätsindikatoren zur Steuerung eines Versorgungssystems aussehen könnte, zeigt z.B. das OECD-Modell.

Zwischenfazit:

Die Stellungnahme und Empfehlungen der Regierungskommission zu den Psych-Fächern hilft dabei, den Stand der Diskussion einzuordnen und die nächsten pragmatischen Schritte abzuleiten. Das ist ein großer Verdienst. Das Papier hilft jedoch wenig, nachhaltige strategische Leitplanken zu definieren, die die geltenden und zu erwartenden gesellschaftlichen Trends aufgreifen. Hier bleibt das Papier im hier und jetzt und bietet viel Unkonkretes für die Zukunft.

Sicherlich ist dies dem Auftrag und der Komplexität geschuldet, aber ein mutiger Schritt in Richtung „Steuerungsidee“, so wie es bei der Psychiatrie-Enquete 1975 sichtbar wurde, wäre hilfreich gewesen. Daher erscheint es sinnvoll, ausgehend von den Empfehlungen eine Reihe von Governance-Kriterien zu entwickeln.

Im Einzelnen bedeutet eine zukunftsgerichtete Versorgung in diesem Kontext:

  • öffentliche bzw. staatliche Gesundheitsplanung
  • Beachtung des regionalen Kontexts und des Subsidaritätsprinzips
  • demokratische Kontrolle der Ziele und der Bewertung der Ergebnisse
  • positive Sanktionierung solidarischen Handelns für die Versorgung in einer Region
  • zentrale Steuerung durch eine öffentlich beliehene Institution
  • Entwicklung von Steuerungskriterien für die zu beleihende Institution wie z.B. Beteiligung der diversen Anspruchsgruppen wie Betroffene, Angehörige und Zivilgesellschaft, zeitliche Befristung der Beleihung, Öffnung der Kontrollgremien der Institution
  • Entwicklung eines ökonomischen Rahmens, der die regionale Verantwortung stärkt und präventiven Angebote und nicht-stationären Leistungen den Vorzug gibt.

Klingenmünster und Berlin, im Februar 2024

Paul Bomke
Vorsitzender der Fachgruppe psychiatrische Einrichtungen im VKD e.V

Über Uns

Informatives

Veranstaltungen

ANSPRECHPARTNER


Paul Bomke
Vorsitzender der Fachgruppe

Pfalzklinikum für Psychiatrie und Neurologie
Telefon | 06349 900-1000
E-Mail | paul.bomke@pfalzklinikum.de

 

Holger Höhmann
Stellv. Vorsitzender der Fachgruppe

Landschaftsverband Rheinland
Kölner Str. 82
40764 Langenfeld
Telefon | 02173 102-5000/5001
E-Mail | holger.hoehmann@lvr.de

Kontakt
  • Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands e. V.
  • Oranienburger Straße 17
  • 10178 Berlin-Mitte
  • Telefon | +49 30 288859-11
  • Fax | +49 30 288859-15
  • E-Mail | vkdgs@vkd-online.de
Cookie-Richtlinie (EU)
Impressum
Datenschutzerklärung